- von Gerhard Reese
Haben Sie sich auch schon gefragt, warum Sie es unangenehm finden, wenn jemand aus Ihrer eigenen Gruppe Mist verzapft, Sie aber völlig gelassen sind, wenn jemand aus einer anderen Gruppe dasselbe tut? Dann ist es ziemlich wahrscheinlich, dass dieser Jemand aus Ihrer Gruppe irgendwie an ihrer sozialen Identität gerüttelt hat, die ihnen - gegeben der Regeln, Werte und Normen, für die Sie ihre Gruppe schätzen - sehr wichtig ist. Im folgenden Artikel soll erklärt werden, warum mit eigenen Gruppenmitgliedern härter ins Gericht gegangen wird als mit Mitgliedern anderer Gruppen.
Fühlen Sie Unbehagen, wenn einer Ihrer Landsleute mit Socken in den Sandalen im Ausland unterwegs ist? Oder haben Sie mal darüber nachgedacht, warum eine Partei beinahe reflexhaft ein Parteiausschlußverfahren gegen eines seiner Mitglieder, das ein fragwürdiges Buch geschrieben hat, einleitet? Vielleicht haben Sie auch schon von dem Phänomen gehört, dass in den USA farbige Täter von farbigen Geschworenen eher für schuldig befunden werden als von weißen Geschworenen (siehe z.B. Kerr, Hymes, Anderson, & Weathers, 1995)? Wenn Sie die Fragen mit „Ja“ beantworten können, dann können Sie sich sicher gut vorstellen, dass es für viele Menschen äußerst problematisch ist, wenn sich Mitglieder der eigenen Gruppe negativ verhalten. Man fühlt sich komisch oder unwohl, denn schließlich kann durch die geteilte Gruppenzugehörigkeit das negative Verhalten auch auf einen selbst zurückfallen. Damit das nicht passiert, existieren verschiedene Strategien, dieser Bedrohung der eigenen sozialen Identität entgegenzuwirken, etwa, indem negatives Verhalten von Eigengruppenmitgliedern stärker sanktioniert wird. Somit soll das Ziel des folgenden Artikels sein, eine sozialpsychologische Erklärung dafür zu liefern, warum sogenannte „schwarze Schafe“ (in der englischen Literatur „Black Sheep“) – oder auch Nestbeschmutzer – von Mitgliedern der eigenen Gruppe bestraft, ausgeschlossen oder diskriminiert werden.
Erklärungsansätze für den Black Sheep Effect
Zusammengefasst besagt der Black Sheep Effect, dass wir dazu neigen, deviante, also abweichende Mitglieder der Eigengruppe negativer zu behandeln oder zu bewerten als vergleichbare Mitglieder einer fremden Gruppe (Marques & Paez, 1994). Diese negative Behandlung kann sich in einfacher Abwertung äußern, aber auch durch Bestrafung oder gar Ausschluss aus der Gruppe. Ein aktuelles Beispiel hierfür bietet die parteiinterne Diskussion um Thilo Sarrazin: Nach Ansicht eines großen Teils der Gruppe der SPD-Mitglieder sind Sarrazins Thesen (etwa zu Migranten) unvereinbar mit dem Selbstbild der Partei. Diese Abweichung von der Gruppennorm resultierte in dem Antrag, Sarrazin aus der Partei auszuschließen. Deviante Gruppenmitglieder sind also Individuen, die in Ihrem Verhalten von dem abweichen, was in einer Gruppe als Norm gilt, nach der sich die Gruppenmitglieder verhalten sollten. Genauso kann es aber auch sein, dass Eigengruppenmitglieder, die eine generelle, gruppenunabhängige Norm verletzen (z.B. „Du sollst nicht stehlen“) als Normabweichler oder schwarze Schafe wahrgenommen werden, die der eigenen Gruppe schaden können. Warum jedoch sind diese „schwarzen Schafe“ problematisch für die eigene (soziale) Identität? Dazu wurden in den vergangenen 20 Jahren eine Reihe von Erklärungsansätzen entwickelt, von denen die zentralen hier in Kürze dargestellt werden sollen. Gemein ist den Ansätzen, dass abweichendes Verhalten eines schwarzen Schafs als besonders relevant wahrgenommen wird. Jedoch unterscheiden sich die Ansätze darin, welche Prozesse dazu führen, schwarze Schafe aus der eigenen Gruppe besonders stark abzustrafen.
Der Black Sheep Effect aus Sicht der Theorie der sozialen Identität (SIT)
Die soziale Identität ist der Teil des Selbstkonzepts einer Person, der sich aus der Mitgliedschaft in sozialen Gruppen ableitet (Tajfel & Turner, 1979). Eine soziale Gruppe wird hierbei definiert als eine Ansammlung von zwei oder mehr Personen die sich selbst als einer gemeinsamen sozialen Kategorie zugehörig fühlen. Eine Grundannahme der SIT besagt nun, dass Menschen, wenn sie als Gruppenmitglieder handeln, nach einer positiven sozialen Identität streben. Dieses Streben nach positiver sozialer Identität basiert auf der enormen Wichtigkeit, die Gruppen für uns Menschen haben: Gruppen sind fundamental um unser Überleben zu sichern (Caporael, 1997), bieten ihren Mitgliedern ein Gefühl sozialer Bedeutung („Wer und was bin ich?“; z.B. Abrams & Hogg, 2001), Sicherheit (Hogg, 2004). Nicht zuletzt dienen Gruppen als psychologisches Instrument (Correl & Park, 2005), den eigenen Selbstwert zu schützen und zu erhöhen. Sie wollen also den Teil ihrer Identität, der an eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit geknüpft ist, als positiv wahrnehmen. Wenn Sie etwa VegetarierIn sind, so wollen Sie eine möglichst positive Wahrnehmung der Gruppe der Vegetarier erleben, damit Sie sich selbst gerne als VegetarierIn wahrnehmen. Menschen, die als Gruppenmitglieder handeln sind daher motiviert, die Eigengruppe positiv von anderen, relevanten Fremdgruppen abzugrenzen, etwa durch Gruppenvergleiche („Wir VegetarierInnen sind ja viel klimaschonender als Ihr Fleischesser“). Anders ausgedrückt neigen Menschen also dazu, Eigengruppenmitglieder positiver zu beurteilen als Fremdgruppenmitglieder. Dass dies jedoch nicht immer so ist, zeigt der Black Sheep Effect.
Der Black Sheep Effect wird nach der SIT als ein Mittel verstanden, die eigene Gruppe, und damit die eigene soziale Identität zu schützen. Ein deviantes Gruppenmitglied wird als gefährdend oder bedrohlich für die Gruppenidentität wahrgenommen, da es sich über bestehende Normen hinwegsetzt, und damit das in Frage stellt, woran man als Gruppenmitglied glaubt. Dadurch wird ein zentraler Aspekt der eigenen Identität—nämlich die soziale Identität—durch einen solchen Normabweichler abgewertet. Als Folge dessen neigen Gruppenmitglieder dazu, jene, die negativ zur sozialen Identität beitragen, loszuwerden, um das positive Gesamtbild der Gruppe aufrechtzuerhalten. In einer Reihe von Experimenten konnte empirisch gezeigt werden, dass Normabweichler der eigenen Gruppe stärker abgewertet und bestraft wurden als Normabweichler einer Fremdgruppe (siehe Stratton, Miller, & Lickel, 2011, für eine Meta-Analyse). Dieser Effekt wurde in einer Vielzahl sozialer Kontexte repliziert (z.B. mit Studierenden, Geschlecht, Katholiken, Ost- vs. Westdeutschen) und scheint davon abzuhängen, wie stark sich Gruppenmitglieder mit ihrer Gruppe identifizieren. So konnten etwa Branscombe, Wann, Noel, & Coleman (1993) zeigen, dass sich der Black Sheep Effect insbesondere bei hoch-identifizierten Eigengruppenmitgliedern – also bei jenen, für die die Eigengruppe sehr relevant ist – zeigt, weniger jedoch bei niedrig-identifizierten Eigengruppenmitgliedern. Zusammengefasst gibt es also eine Reihe empirischer Belege dafür, dass negative Verhaltensweisen von Eigengruppenmitgliedern, die die eigene soziale Identität schädigen können, eine treibende Kraft für den Black Sheep Effect darstellen. Allerdings gab es in der jüngeren Vergangenheit einige theoretische Ansätze, die andere Prozesse identifiziert haben, mittels derer sich erklären lässt, warum Menschen dazu neigen, deviante Gruppenmitglieder abzustrafen.
Kognitive Erklärungsansätze für den Black Sheep Effect
Zwei prominente Alternativerklärungen für den Black Sheep Effect kommen aus der Arbeitsgruppe um Monica Biernat. Eine dieser Erklärungen basiert auf der Annahme, dass nicht die soziale Identität des schwarzen Schafs per se dafür verantwortlich ist, dass Menschen schwarze Schafe abstrafen wollen. Viel mehr gehen Biernat und Kollegen (Biernat, Vescio, & Billings, 1999) davon aus, dass die Verletzung von erwartetem Verhalten ausschlaggebend für die stärkere Abwertung von schwarzen Schafen ist. Sie nahmen an, dass die Identifikation mit einer Eigengruppe positive Standards und Erwartungen (etwa „Leute aus unserer Gruppe sind besonders leistungsstark“) aktiviert, mit denen Gruppenmitglieder verglichen werden. Dies zeigte sich im Rahmen einer Studie, in der weiße amerikanische Versuchspersonen entweder mit einer anderen weißen oder mit einer farbigen Person in einem Team zusammenarbeiteten. Das Hauptergebnis war, dass Eigengruppenmitglieder, die für den Misserfolg des Teams verantwortlich waren, negative emotionale Reaktionen und Abwertung auslösten, da sie die Erwartungen der eigenen Gruppe nicht erfüllen konnten. Fremdgruppenmitglieder hingegen wurden nicht an den Standards und den Erwartungen der Eigengruppe gemessen, so dass eine weniger starke Verletzung von erwartetem Verhalten vorlag. Daraus resultierte eine geringere Abwertung des Fremdgruppenmitglieds—und damit der Black Sheep Effect.
Ein zweiter alternativer Erklärungsansatz wurde von Eidelmann & Biernat (2003) angeregt. Sie argumentieren, dass weniger die soziale Identität ausschlaggebend für den Black Sheep Effect ist, sondern vielmehr der Wunsch sich persönlich von einem schwarzen Schaf zu distanzieren. Evidenz für diese Annahme konnten Eidelmann und Biernat in einem einfachen Experiment zeigen. Sie gaben Versuchsteilnehmern zunächst einen Artikel über einen Biologielehrer, der in einem Wissenschaftsmagazin sehr negative Ansichten vertrat. Diese Person kam entweder aus Kansas, war also ein Mitglied der Eigengruppe der Versuchsteilnehmer (die Studie wurde an der University of Kansas durchgeführt), oder aus Colorado. Danach erhielten Versuchsteilnehmer zwei Möglichkeiten auf diesen Artikel und den Lehrer zu reagieren: Sie konnten entweder den Lehrer abwerten (die Black Sheep Effect-typische Reaktion) oder angeben, wie sehr sie sich von der eigenen Gruppe distanzieren wollen. Letzteres wird von Eidelmann und Biernat als Möglichkeit gesehen, nicht mit einem schwarzen Schaf in nähere Verbindung gebracht zu werden. Das Ergebnis hing letztlich von der Reihenfolge der Messungen ab: Wenn sich Versuchsteilnehmer zuerst von der Eigengruppe distanzieren konnten, so zeigte sich kein Black Sheep Effect in der Abwertung des schwarzen Schafs. Wenn Versuchsteilnehmer jedoch zunächst die Versuchsperson abwerten konnten, zeigte sich ein Black Sheep Effect, aber keine Distanzierung. Der Befund, dass sich diese beiden Strategien (Abwertung vs. Distanzierung) gegenseitig ersetzen können weist darauf hin, dass persönliches Distanzieren vom schwarzen Schaf eine wichtigere Rolle spielt, als das positive Gesamtbild der eigenen Gruppe zu schützen.
Ein weiterer Ansatz, der ebenfalls Prozesse zugrunde legt, die über Bedenken der eigenen sozialen Identität hinausgehen, wurde kürzlich von Reese, Steffens und Jonas (2011) vorgestellt. In einer Reihe von Studien konnten diese Autoren zeigen, dass nicht allein die Gruppenzugehörigkeit des schwarzen Schafs den Black Sheep Effect erklärt, sondern zugrundeliegende Informationsverarbeitungsstrategien. Basierend auf der Annahme, dass relevante Information tiefer (systematischer) verarbeitet wird als weniger relevante Information, gehen die Autoren davon aus, dass auch Informationen über Eigen- vs. Fremdgruppen unterschiedlich tief verarbeitet werden. Dieser Verarbeitungsunterschied wirke letztlich auf die Bewertung des Normabweichlers aus, die hier mittels verschiedener Fragebogenmaße erfasst wurde (z.B. wurden Versuchsteilnehmer gebeten anzugeben, wie sehr sie den Normabweichler bestrafen wollen würden, oder wie sympathisch sie die Person finden). Im Kontext Ostdeutscher vs. Westdeutscher Studierender konnte etwa gezeigt werden, dass je tiefer über Information über ein schwarzes Schaf aus der Eigengruppe nachgedacht wurde, desto stärker wurde das schwarze Schaf abgewertet. Dieser Befund wurde auch kausal getestet. In einem Experiment wurden Versuchspersonen mit einem schwarzen Schaf konfrontiert. Zur Ablenkung beschäftigte sich die eine Hälfte der Versuchspersonen parallel mit einer zweiten Aufgabe – hier mussten sie sich darauf konzentrieren, aus einem Stimmengewirr bestimmte Signale rauszuhören – sodass eine systematische Verarbeitung nicht möglich war. Die andere Hälfte der Versuchspersonen konnte sich hingegen ausschließlich mit dem schwarzen Schaf befassen. Wie erwartet zeigte sich, dass Versuchspersonen, denen eine systematische Verarbeitung möglich war, die Informationen tiefer verarbeiteten und das schwarze Schaf negativer bewerteten als die Personen, die sich mit einer parallelen Zweitaufgabe beschäftigen mussten.
Die in diesem Abschnitt dargelegten Befunde zeigen, dass der Black Sheep Effect kein ausschließlich motivationales Phänomen ist, das allein auf die Gruppenzugehörigkeit des Normabweichlers zurückgeht – so wie es nach der Theorie der sozialen Identität argumentiert wird. Vielmehr handelt es sich bei dem Black Sheep Effect um ein komplexes sozialpsychologisches Phänomen, dessen Erklärung der Berücksichtigung vielfältiger Faktoren bedarf. Für eine detaillierte Auseinandersetzung dieser vielen Einflussfaktoren sei auf die Meta-Analyse von Stratton und Kollegen verwiesen (Stratton et al., 2011).
Zusammenfassung
Bei dem sogenannten Black Sheep Effect handelt es sich aus sozialpsychologischer Sicht um ein Phänomen, bei dem die meisten Menschen sagen würden „na, das ist doch klar – ich lass mir doch nicht mein Nest beschmutzen“. Ein genauerer Blick auf dieses Phänomen der Eigengruppenabwertung zeigt jedoch, dass dieser Effekt alles andere als trivial ist. Nach der Theorie der Sozialen Identität (Tajfel & Turner, 1979) neigen Menschen in der Regel dazu, Angehörige aus der eigenen Gruppe im Vergleich zu Mitgliedern anderer Gruppen zu bevorzugen. Dennoch zeigt sich der Black Sheep Effect, also eine relative Abwertung normabweichender Eigengruppenmitglieder, was darauf hinweist, dass Menschen auch andere Formen der Eigengruppenfavorisierung verfolgen. Nämlich, wie oben bereits angeführt, die Aufrechterhaltung einer positiven Gruppenidentität durch das Ausschließen derer, die die Gruppenidentität bedrohen. Neben dieser gruppenbasierten Erklärung kann die relative Abwertung aber auch dadurch erklärt werden, dass Individuen schlicht und einfach ihre Erwartungen an ein Gruppenmitglied nicht erfüllt sehen, sich persönlich von diesem schwarzen Schaf distanzieren wollen und ihre Reaktion davon abhängt, wie tief (d.h. systematisch) Information verarbeitet wird. Schließlich liegt den meisten Erklärungen des Black Sheep Effects die Idee zugrunde, dass es sich bei den „Normverstößen“ um Verhalten handeln muss, das für die Gruppenmitglieder in irgendeiner Form relevant ist.
Schlussfolgerung
Eigentlich ziehen wir Mitglieder der eigenen Gruppe denen anderer Gruppen vor – das dies nicht immer der Fall zeigt der Black Sheep Effect. Deshalb: Wann immer Sie feststellen, dass in Ihrem Umfeld oder in den Medien jemand mit einem Mitglied aus der eigenen Gruppe hart ins Gericht geht: Seien Sie kritisch, und hinterfragen Sie die Motivation, die dieser ablehnenden Haltung gegenüber dem schwarzen Schaf vorangeht. Denn häufig steckt nicht viel mehr dahinter, als dass die soziale Identität, und damit das bestrafende Individuum, geschützt werden soll.
Literaturverzeichnis
- Abrams, D., & Hogg, M. A. (2001). Collective identity: Group membership and self-conception. In M. A. Hogg & S. Tindale (Eds.), Blackwell handbook of social psychology(vol 3): Group Processes (pp. 425-461). Oxford, UK: Blackwell.
- Biernat, M., Vescio, T. K., & Billings, L. S. (1999). Black sheep and expectancy violation: integrating two models of social judgment. European Journal of Social Psychology, 29, 523-542.
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- Kerr, N. L., Hymes, R., Anderson, A. B., & Weathers, J. (1995). Juror–defendant similarity and juror judgments. Law and Human Behavior, 19, 545–567.
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- Tajfel, H., & Turner, J. C. (1979). An integrative theory of intergroup conflict. In S. Worchel & W. G. Austin (Eds.), The social psychology of intergroup relations (pp. 33 - 47). Monterey: Brooks Cole.